Psychodrama around the world
Ein Bericht vom internationalen Jubiläumskongress des ÖAGG mit der Sektion Psychodrama aus Wien
Der Kongress mit rund 350 Teilnehmenden stand im frühlingshaften Wiener Licht überwiegend zwischen den psychodramatisch-biografischen Schätzen aus den Archiven sowie den sich erneuernden, erfolgreichen, aktuellen Bühnen der Psychotherapie, Philosophie, Soziologie und der Hochschulen. So war es sehr passend, dass der Kongress in Bewegung war zwischen dem „K&K Wien“ in Form des Palais Berg aus dem Jahr 1892 und dem modernen Geschäfts- und Bürokarree an der Wienerbergstraße als Veranstaltungsorte.
Der Kongress-Leitung, an diesem Tag vertreten durch Doris Nowak-Schuh und Thomas Sageder, war es sehr dankenswerterweise gelungen Jonathan Moreno (Sohn) und Joseph Moreno (Neffe, Sohn von William Levy M.) zu gewinnen. Joseph Moreno ist u.a. emeritierter Professor der Maryland University mit Bezug zu Musiktherapie. Jonathan D. Moreno war u.a. in mehreren Aufgaben als Leitung und Professor im Bereich Biomedizin-Ethik an den Universitäten von Virginia und Pennsylvania tätig. Beide verbanden den ganzen Kongress über sehr eingängig den historischen Bericht zu „J. L.“ mit wertvollen Anekdoten, die alle gerne aufsogen. Selbstredend fand dies durch deren eigene Inhalte weitere Bedeutung.
Grete Leutz wird als Grande Dame unter großem Beifall und mit viel positiver, warmer Emotion und Respekt geehrt. Leutz Anwesenheit hat für den Kongress eine hohe integrative und verbindende Bedeutung. Der mehr als sieben Jahrzehnte überspannende Weg vom „Au-pair von Jonathan“ zur psychodramatischen Tochter von J. L. Moreno und zur Mit-Begründerin des PD über Deutschland hinaus ist bedeutend.
Der erste Kongresstag besteht weiterhin – für PsychodramatikerInnen ungewohnt lange sitzend – aus kurzen Vorlesungen mit Fragerunde. Erster Schwerpunkt ist, was aktuelle Rezeptionen und inhaltliche Orientierungen in den globalen PD-Communities sind. Dabei wird deutlich, dass PD leider kaum auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet. Heloisa Fleury ist erste Fachvortragende aus Sicht und mit Gruß des IAGP, dessen Präsidentin sie ist, und lädt zur internationalen Zusammenarbeit ein. Im Anschluss folgt Manfred Stelzig als Sektionsleiter Psychodrama im ÖAGG mit reicher Erfahrung als Arzt und Lerntherapeut für die Ärztekammer sowie an mehreren Hochschulen. Er übergibt an Jonathan Moreno für einige, bebilderte biografische Anmerkungen und zur Geschichte der psychodramatischen Trias sowie an Christoph Hutter mit Ausführungen und Impuls zum kreativen Zirkel. Karoline Hochreiter schließt mit einem Vortrag zu historisch gewachsenen kleinen und großen Aufgaben des Österreicher Verbandes, was den Bogen zu den komplexeren Anforderungen an den Verband hinsichtlich Hochschul- und Therapieausbildung unter Berücksichtigung der neuen Psychotherapeutengesetze, die EU-Richtlinien recht einheitlich folgen, spannte.
35 Stockwerke oder 138 m über den Dächern von Wien endet der erste Tag gesellig mit Apero und Gala Diner bei Sonnenuntergang – unter uns Aufleuchten der bunten Großstadtlichter und der Attraktionen des Praters an der Donau.
Der zweite Vormittag unter der Leitung von Monika Wicher und Manfred Stelzig bietet ebenfalls Raum für fachliche Kurz-Vorlesungen mit Fragerunde.
René F. Marineau gibt erweiterte Einsichten zu Morenos Biografie. Michael Schacht beleuchtet in seiner Rolle als Fachbuchautor und Psychologe seine eigenen kreativen und hintergründigen Ausführungen zu Theorie und Begrifflichkeiten sowie die inhaltliche Entwicklung des PD.
Joseph Moreno referiert als Professor für Musiktherapie eine bebilderte Übersicht über Musiktherapie und deren Bedeutung und Wirkung in Ländern mit geringem Anteil von Schulmedizin. In diesen Ländern leben allerdings 80% der Weltbevölkerung. Musik bietet nicht nur die Möglichkeit in Trance in besseren Kontakt zur seelisch-psychischen Bereichen zu kommen, sondern insbesondere Singen ermöglicht eine andere Art der Stegreiflage und Veränderung. Joseph leitet in diesem Sinne später einen Workshop zur Kreation eines eigenen Blues.
Der Nachmittag war den gebuchten Workshops in den Kongress-Räumlichkeiten der Twin Towers an der Wienerbergstraße vorbehalten. Teils bewegt, teils im Vortrag und diskutierend geht es in die Arbeit zu Themen wie Sexualtherapie und Persönlichkeitsstörungen. Die Stimmen der Teilnehmenden lassen auf fruchtbare Workshops und kollegialen Austausch schließen. Dadurch, dass PD in Österreich ein anerkanntes, ankündigungs- und abrechnungsfähiges Verfahren ist, zeigt sich eine stärkere Befassung mit allgemeingültigen therapeutischen Diagnose-Systemen, wie DSM-5, ICD 10, 11. Angleichungsbestreben zu offiziellen Weiterbildungsordnungen ist ebenfalls Thema. Das bedeutet einerseits mehr Bürokratie und Formalismus. Andererseits bringt es junge TherapeutInnen ins PD, die inhaltlich und beruflich motiviert sind, allgemeine therapeutische Inhalte und den spezifischen Einsatz von Psychodrama professionell zu lernen und fruchtbar zu machen.
Am Abend des Kongress-Freitag präsentiert uns das „MoMu Teatro“ (ein Projekt des Moreno Museum, Italien) die Bühne zu „Un cappello per Moreno“ in 10 Szenen zu Moreno´s Lebens-, Inspirations-, und Beziehungsweg während der Jahre in Österreich. Liebevoll sind Gedichte und poetische Zitate von Dichtern, wie z.B. Mihai Eminescu, eingearbeitet, die uns spirituell durch das bewegte biografische Schauspiel begleiteten und berühren. Intime Momente mit seiner Mutter, seiner ersten Frau Marianne und weiterer emotional wichtiger Menschen sind eindringlich umgesetzt. Sie zeigen dem Publikum den „Bildungsweg“ des jungen Moreno sowie seine ihm eigene Kraft die Bühne für Heilung von Menschen und Gemeinschaften zu begreifen und zu gestalten. Chapeau an die LaienschaupielerInnen mit Regisseurin und Buch!
Samstagvormittag erfolgen unter der Leitung von Susanne Neureiter-Penn und David Mayrhofer weitere schöne Impulse und Kurzvorlesungen. Wunderbar humorvoll tritt an Stelle des bekannten Schweizer Philosophen Roger Schaller Moreno selbst auf. Moreno hatte den vortragenden Schaller hinter der Bühne außer Gefecht gesetzt, um sich den Platz auf der Bühne zu sichern. Inhaltlich gibt es pointierte wie inspirierende Bezüge zu aktuellen und historischen Philosophen.
Es folgen Katharina Novy aus Wien mit Bericht zu ihren positiven Erfahrungen Soziodrama als Soziologin in der politischen Bildung fruchtbar zu machen und Christian Stadler mit einem Plädoyer für Soziometrie. Monika Wicher präsentiert mit in Konzept und Kasuistik sehr klarer Darstellung ihre klinisch-therapeutische Arbeit und ihre psychodramatische Grundkonzeption für die Gruppentherapie mit Kindern. Michael Wieser befasst sich als Autor und Assistenz-Professor einige Jahrzehnte mit wissenschaftlicher Psychotherapieforschung. Er gibt dem Auditorium wertvolle Hinweise zu neueren Forschungsergebnissen mit Bezügen zu (humanistischem) Psychodrama (u.a. Ladislav Timulak, Hod Orkibi), appelliert und plädiert dafür die PD-Fachzeitschriften für den engen Kreis der international-wissenschaftlich-anerkannten Veröffentlichungen anschlussfähig zu machen, auch wenn dort hohe wissenschaftliche und formalistische Anforderungen zu erfüllen sind. Es ginge auch darum, die Zukunft in diesem Segment zu sichern.
Joseph Moreno schließt mit einer bewegenden Würdigung für die Verdienste seines Vaters William für das PD und in großer persönlicher Unterstützung für J. L. Moreno den internationalen Vorlesungsteil ab. Manfred Stelzig beendet mit Dank und Form diesen Teil.
Es folgen an diesem Nachmittag inhaltlich sehr gut angenommene und gut geleitete WS in den Kongressräumlichkeiten der Wienerbergstraße. Die TN schätzten sehr die Begegnung und freie Wahl im psychodramatischen Sinn.
Samstagabend feiert der Kongress ausgelassen und freudig mit Tanz. Durch die Impulse der Vortage und die Bewegung erwärmt, gibt es angenehmen Raum für noch offenes Kennenlernen und Vernetzung.
Der Kongress-Sonntag lädt sonnenbeschienen zu einem Joint-Meeting mit großer Überraschung an der Maysedergasse 2 in der Wiener Altstadt. Dort befinden sich die durchaus repräsentativen ersten festen Räumlichkeiten für Moreno`s Stegreifbühne. Unter großem Zuspruch wird eine Gedenktafel am Eingang des Gebäudes enthüllt. Danach steht das besagte Appartement Moreno’s im vierten Stock zur Besichtigung offen. Es gehört zu den Räumlichkeiten des VBKÖ – Verein der bildenden KünstlerInnen Österreichs, die ein kleines Archiv aufgebaut haben und es bewahren. Zu Morenos historischen UnterstützerInnen gehörten u.a. Anna Höllering, das Ehepaar Kulka und Peter Lorre sowie Ludwig Wittgenstein, was Moreno ermöglichte Fuß zu fassen. Hier fanden seine existenzialistisch geprägten Gedanken über die Zeitschrift „Daimon“ Ausdruck und es gab zahlreiche Bühnen zur sprechenden Zeitung. Moreno und seine Mitstreiterinnen konnten viele Menschen motivieren in Gruppen der Begegnung zusammenzuarbeiten.
Hiernach gab es zwei „Sentimental Journeys“ zu weiteren Wirkungsstätten Morenos. Eine Gruppe wandelt mit Leitung Sabine Kern und Markus Steidl durch Wien. Die andere Gruppe inklusive Jonathan Moreno besteigt angeführt von Michael Wieser und Friederike Scherr einen Charter-Bus Richtung Bad Vöslau. Der erste Halt gilt dem Ehrengrab von Moreno auf dem großen Wiener Zentralfriedhof in Simmering. Jonathan Moreno gerät durch die vielen Anekdoten und Fragen ab und zu unfreiwillig in die Rolle des Fremdenführers und antwortet geschickt mit „well, it`s a good enough story“.
Danach pilgern wir zum „kleinen Schweizer Haus“ in Bad Vöslau 40 km südlich von Wien. Das Haus liegt bekanntermaßen seit gut 30 Jahren brach, ist dringend sanierungs- und wiederaufbaubedürftig. Hier war die große emotionale Identifikation unserer kleinen Reisebühne mit Moreno besonders zu spüren. Es entstand der nicht neue Wunsch diesen Sehnsuchtsort als Museum, Seminarhaus, internationales Stiftungshaus „aufzubauen“. Dort war Moreno als Gemeindearzt, als Betriebsarzt der noch erhaltenen Kammgarnfabrik sowie später als praktizierender Arzt tätig. In diese Zeit fällt die Arbeit an „die Worte des Vaters“ und Morenos ärztlicher Dienst im Flüchtlingslager des benachbarten Mittendorf an der Fischau, welches wir kurz besuchen. Leider gibt es kein wissenschaftlich belastbares, historisches Material, ob und wie Moreno hier Soziometrie einsetzte, was Moreno selber oft andeutete. Wir verabschieden unsere internationalen Gäste anschließend am Flughafen und fahren zuletzt nach Wien zurück.
Es war schön zu sehen, dass es insbesondere in Österreich einige Stränge gibt, in denen Psychodrama sich weiterentwickelt. Es gibt Energien Richtung Erneuerung, Weiterentwicklung Psychodrama-Theorie für Hochschule und Therapie. Hier war der Kongress bzw. die unterschiedlichen Richtungen noch nicht im Tele. Trotzdem zieht dies eine junge TherapeutInnen-Generation an und stellt Verbände und Institute vor formale und inhaltliche Herausforderungen. International lebt das PD getragen durch gemeinsames Tele für Soziometrie und Identifikation mit Gründerinnenpersönlichkeiten wie Zerka und Grete Leutz.
Großer Dank und Chapeau an die ÖAGG mit Sektion Psychodrama für einen im positiven Sinn dichten, internationalen Kongress in der wunderbaren Großstadt Wien. Die Bühnen wirken nach – Begegnung und Soziometrie war viel gesagt und getan. Trotz des 50-jährigen Todestags kamen wir der Person Morenos und seinen WegbegleiterInnen sehr nah und sind den GastgeberInnen dankbar, dass sie Morenos Hut im übertragenen Sinn als „Spirit-Hilfs-Ich“ ordentlich haben Kreisen lassen!
Claus-Georg Schilling